#113 - Etwas Besonderes

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„Ohne...Witz.. ich kann..nicht mehr", bekam ich mühsam heraus und stützte mich vorneüber mit den Händen auf die Knie. Ich schloss kurz die Augen, weil ich Angst hatte, zusammenzuklappen. Meine Lungenflügel pumpten so sehr, als würden sie im nächsten Moment wie eine Zeitbombe explodieren. Ich spürte, wie mir der Schweiß am Nacken hinunterlief und wie meine Füße vor lauter Anstrengung pochten.

„Alles okay?"

Nein, nix okay.

Er legte seine Hand auf meinen Rücken und sofort begann die Stelle, an der seine Finger mich berührten, zu kribbeln.

„Ja, geht schon wieder", antwortete ich und richtete mich wieder auf. Ich sah zu ihm hoch, verschränkte die Arme vor der Brust, zog eine Augenbraue nach oben und lächelte ihn provozierend an.

„Hetzt du Mädchen, die dir nachlaufen, immer durch Großstädte, damit sie dann zusammenbrechen und dir hilflos ausgeliefert sind?"

Er lachte und seine Grübchen bohrten sich sanft in seine Wangen. „Klar, das ist der neueste Trick, wie man jede rumkriegt!", antwortete er frech und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.

„Pfff", machte ich gespielt beleidigt und ging an ihm vorbei in die Dunkelheit. Ich bemerkte erst jetzt, dass wir uns am Anfang eines stockdusteren Parks befanden und Harry direkt unter einer Laterne stand, während ich in die Dunkelheit der Bäume lief.

Nach ein paar Metern wurde ich langsamer und blieb dann stehen und betrachtete gedankenverloren die Glühwürmchen, die hier herumschwirrten.

Es war wunderschön hier, es hätte glatt eine Filmkulisse sein können.

Im nächsten Augenblick legten sich zwei Arme von hinten um mich und ich stieß mit dem Rücken gegen Harrys Brust.

Sofort ging seine pulsierende Wärme auf mich über, obwohl ich doch ein wenig fror zugegebenermaßen.

„Du bist das erste Mädchen, das mir überhaupt gefolgt ist", flüsterte er und blies dabei eine lose Haarsträhne in meine Stirn, die sanft über meine Haut strich. Es fühlte sich an, als wollte sie die Weichheit und den Ausdruck seiner Worte noch verstärken.

Ich starrte weiter unbewegt in die Dunkelheit, aber meine Mundwinkel bogen sich automatisch nach oben, ohne dass ich etwas machte oder dass sie von meinem Gehirn einen Befehl dafür empfingen – mein Hirn war eh wieder irgendwo in der bekannten rosaroten Watte-Wölkchen-Welt angekommen, in der es sich immer befand, sobald Harry auch nur irgendwie in meiner Nähe war.

Er fuhr mit den Händen an meinen Armen hinunter und ein Feuer überzog meine Haut unter meiner Strickjacke. Ich lehnte den Kopf nach hinten an seine Schulter und spürte Harrys Kinn an meiner Schläfe.

„Na, siehst du", murmelte ich.

Wie schön wäre es, wenn man die Zeit anhalten könnte und in einem bestimmten Augenblick für immer leben konnte...

Ich würde ohne zu zögern jetzt den Stopp-Knopf drücken.

„Du bist und bleibst eben etwas überaus Besonderes."

Mit diesen Worten löste er seine Arme von mir und drehte mich zu sich um. Ich sah langsam zu ihm auf und konnte das Funkeln in seinen Augen sogar bei dieser Dunkelheit sehen. Sein Lächeln strahlte mir entgegen.

Muss ich erwähnen, wie es meinem Herzen ging? ...Nein, ich denke nicht. Das galoppierte gerade über eine kunterbunte Wiese zusammen mit ein paar Silber schimmernden Einhörnern und machte einen Luftsprung nach dem nächsten.

„...etwas Besonderes", wiederholte er und legte seine Hand an meine Wange. Er näherte sein Gesicht meinem, aber verharrte ein paar Zentimeter, bevor seine Lippen auf meine trafen.

Wollte er meine Reaktion austesten? Oder wollte er mir die Möglichkeit geben, nach hinten auszuweichen, falls ich nicht wollte, dass er mich küsste?

Was auch immer es war, ich konnte nicht weiter darüber nachdenken, denn im nächsten Moment zuckten wir beide so sehr zusammen, dass ich mich beinahe an meiner eigenen Spucke verschluckt hätte.

Es kam eine Handvoll Betrunkener mit lautstarkem Gegröle in den Park gewankt.

Gott sei Dank waren wir in der Dunkelheit und sie konnten uns nicht sehen, aber trotzdem ließ Harry seine Hände von meinem Gesicht nach unten sinken und griff stattdessen nach meiner Hand, um mich wortlos weiter in die entgegengesetzte Richtung von den Betrunkenen zu ziehen.

Wir liefen durch den Park und verließen ihn dann am anderen Ende.

Wir streunerten jetzt ziellos durch München. Die ersten paar Minuten schweigend, aber dann unterhielten wir uns über alles Mögliche. Harry war ein wahnsinnig guter Zuhörer, und er erzählte mir auch sehr viel. Von wegen Harry sei so schweigsam und würde so langsam reden, wie die Presse ihn immer darstellte.

Er brachte mich ungefähr alle zwanzig Sekunden zum Lachen, und jedes Mal, wenn ich wieder lachen musste, grinste er mich an und seine Grübchen erschienen auf seinen Wangen.

Er war so wunderschön, anders konnte man ihn nicht beschreiben. Ich hätte einfach nur hier stehen und ihn für den Rest meines Lebens betrachten können.

Unsere Handys gaben in unregelmäßigen Abständen immer wieder Töne von sich. Harry bekam bestimmt von jedem, der sich im P1 befand, eine Nachricht (oder eher mehrere, so oft, wie sein Handy sich penetrant zu Wort meldete), wo zur Hölle wir waren, und bei meinem war es bestimmt Caro, die versuchte, mich zu erreichen. Oder Jana.

Nichts davon interessierte uns und wir ignorierten es geflissentlich.

Irgendwann fror ich total, obwohl ich schon meine Fleecejacke anhatte, die ich ja in meiner Tasche dabei hatte. Ich lehnte Harrys Pulli vehement ab, da er nur ein T-Shirt drunter anhatte und ich nicht Schuld sein wollte, wenn er sich erkältete und dann nicht mehr singen konnte.  – Himmel, hier musste man wirklich aufpassen. Erst Glatzkopfandrohungen und jetzt Erkältungsmöglichkeiten. Mit einem One-Direction-Star musste man umgehen wie mit einer Glaspuppe!

„Am besten, wir gehen irgendwo rein", schlug Harry vor, aber ich sah ihn nur skeptisch und ein wenig ungläubig an.

„Du willst allen Ernstes irgendwo reingehen??", hakte ich mit einer hochgezogenen Augenbraue nach und er kapierte selber, was er da für einen Blödsinn geredet hatte.

Er lachte in sich hinein und schlug sich die Hand an die Stirn. Ich tätschelte ihm die Schulter und meinte nur: „Ist schon okay, Harold, dass du dich nach drei Jahren immer noch nicht an dein Star Dasein gewöhnt hast."

„Ha ha." Er streckte mir die Zunge raus und grinste dabei sein Grübchen-Grinsen.

„Hast du denn einen besseren Vorschlag, Fräulein Oberschlau?", zog er mich auf und ich boxte ihm als Antwort in den Bauch. In seinen harten Bauch. In seinen seeehr harten Bauch. In seinen Sixpack-Bauch.

Okay, Sam, beruhig dich. Immer schön normal weiteratmen.

„Hmmm.. also entweder du fährst nach Hause...oder du kommst noch mit zu mir ins Hotelzimmer..?", beantwortete er seine eigenen Frage und sah mich ein wenig nervös aus seinen grünen, in der Dunkelheit glänzenden Augen an.

„Willst du mich loswerden oder was?", gab ich frech zurück und er grinste.

„Ja, eigentlich schon, aber dann komm eben mit, ist mir auch egal."

„Na viele herzlichen Dank." Schmollend drehte ich mich weg von ihm, aber da umarmte er mich schon von hinten und lachte mir leise ins Ohr.

„Komm, Schmolli, da vorne steht ein Taxi, das bringt uns ins Hotel."

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt