#15 - Verschlafen. Heiliger Strohsack!

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Ich stieß einen spitzen Schrei aus und sprang wie von der Tarantel gestochen aus dem Bett.

Shit, das kann nicht wahr sein!! Es war halb elf, ich sollte seit einer halben Stunde bei Mom in München zum Arbeiten sein! Verdammt, verdammt, verdammt!

„Ach du heiliger Strohsack!! Ich ticke aus! LEEEO! Scheiße, Leo!!!!"

Ich lief in sein Zimmer – doch er war nicht da. Auch in der Küche und im Wohnzimmer und im restlichen Haus konnte ich keine Menschenseele finden, nachdem ich die Treppe hinunter- und wieder heraufgepoltert war.

Ich fluchte lauthals vor mich hin und rannte ins Badezimmer.

Ein Blick in den Spiegel und ich gab einen laut wie eine fauchende Katze von mir.

So konnte ich unmöglich aus dem Haus gehen! Meine Haare sahen aus, als hätte ein Storchenpaar heute Nacht darin gebrütet und meine Augen waren halb zugeschwollen!

Ich sprang unter die Dusche und verfluchte abermals meinen Bruder. Wieso hatte der Blödmann mich nicht geweckt?! Wir arbeiteten schließlich momentan beide bei Mom im Management während unserer Semesterferien! Fand er das etwa witzig?! Der würde später noch etwas von mir zu hören kriegen, aber sowas von!

In Windeseile föhnte ich mir die Haare halb trocken. Ich weiß nicht, was mit ihnen los war, aber sie waren heute extrem gelockt. Ich hatte ja schon einen halben Afro auf dem Kopf, um Himmels willen! Also band ich sie mir zu einem Monster-Dutt zusammen. Meine Augen hatten sich auch wieder einigermaßen eingekriegt und die Schwellung von meinen Tränen heute Nacht war fast komplett verschwunden.

Ich suchte mir schnell meine momentanen Arbeitsklamotten zusammen – eine schwarze dünne Strumpfhose, einen kurzen Bleistiftrock, meine weiße Lieblingsbluse mit dem wahnsinnig tollen Schnitt und die schwarzen High Heels.

Schnell schminkte ich mich noch, sprintete in die Küche, um mir einen Müsliriegel als Frühstück zu holen, und hastete in Richtung S-Bahn-Station.

Zur Arbeit fuhr ich nie mit dem Auto. Bei den Parkpreisen zahlte man sich ja dumm und dämlich in München, da brauchte man eigentlich nicht mehr arbeiten, weil man das Geld eh für das Parkticket wieder aus dem Fenster warf.

Die S-Bahn kam wie aufs Stichwort gleichzeitig mit mir an der Haltestelle an, ich setzte mich hinein und mein Puls beruhigte sich nach ein paar Minuten ein wenig.

Momentan arbeitete ich bei meiner Mutter in ihrem Event-Management. Eigentlich hatte ich gerade mein Abitur gemacht und wollte nun anfangen zu studieren. Mom hatte mir für die paar Monate zwischen Abi und Studiumsbeginn den Job als ihre persönliche Assistentin angeboten, was ich natürlich jauchzend vor Freude angenommen hatte. Mom war das führende Tier des größten und erfolgreichsten Event-Management-Unternehmen ganz Münchens. Sie hatte es erst letztens geschafft, einen ganz dicken Fisch ans Land zu ziehen. – Und zwar werden nächstes Wochenende die MTV Europe Music Awards in München stattfinden. Ich weiß noch, wie sie nach Hause kam und uns davon erzählte. Ich hatte sie selten so strahlen sehen. Allerdings stand sie seitdem komplett unter Stress. Sie hatte mich als ihre persönliche Assistentin engagiert, weil sie jemanden brauchte, dem sie ‚bedingungslos vertrauen kann' und von dem sie wusste, ‚dass er keine Informationen nach außen an die Presse-Geier weitergibt'. Und da ist man bei der eigenen Familie natürlich am besten dran. Blut ist schließlich dicker als Wasser.

Also war ich jetzt ihre Assistentin.

Mal sehen, wie lange noch. Ich hoffte, sie nahm es mir nicht übel, dass ich so verschlafen hatte. Ich hatte gestern Abend einfach vergessen, mir den Wecker zu stellen. Kein Wunder, bei den Ereignissen der letzten zwei Tage...

Ich war immer noch stinkwütend auf Leo. Normalerweise fuhren wir immer zusammen rein. Er war ebenso ein Assistent in Moms Management für diese paar Monate.

Endlich kam die S-Bahn an meiner Haltestelle zum Stehen.

Ich hastete hinaus und auf das riesige Bürogebäude im Herzen Münchens zu.

Ich fuhr mit dem Aufzug in den zwölften Stock und stieg dort aus. Als ich um die Ecke bog und die Tür zum Management öffnete, fing mein Herz an zu pochen. Ich hatte ein wahnsinnig schlechtes Gewissen. Normalerweise war ich total zuverlässig, aber seit mir ein braunhaariger Kerl im Kopf herumspukte, war wohl nicht mehr so viel mit mir anzufangen.

Ich ging auf meinen Schreibtisch zu, der im Vorraum zu Moms Büro stand und schmiss meine Tasche auf den Drehstuhl.

Ich drehte mich kurz zum Spiegel, der an der Wand hing, und checkte mein Aussehen. Ich wollte nicht wie eine gehetzte Vogelscheuche aussehen.

Ich wappnete mich vor dem, was auf mich zukam – was auch immer es war – und machte ohne zu klopfen mit meinem allseits bekannten Schwung die Tür zu Moms Büro auf.

„Oh Gott, Mom, es tut mir so sehr leid - "

Doch weiter kam ich nicht.

Denn ich blieb wie angewurzelt stehen.

Und starrte in Richtung Schreibtisch.

Doch ich starrte nicht Mom an.

Ich starrte auf die andere Seite ihres Schreibtisches.

Ich glaube, mich trifft der Schlag.

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt