#23 - Endlich.

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Ich konnte gar nicht beschreiben, was ich gerade fühlte. Am liebsten hätte ich eine Zeitmaschine, die diese zwei Stunden, die noch übrig waren, bis ich losfahren würde, einfach überspringen.

Caro und ich redeten noch ein bisschen, ich erzählte ich auch noch einmal im Detail, was heute Vormittag passiert war, schließlich hatte sie nur per Whatsapp eine Kurzzusammenfassung bekommen.

Irgendwann brachte ich ihr vorsichtig bei, dass ich jetzt gerne alleine sein würde. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich sie einfach so regelrecht schon hinauswarf, aber sie sprang sofort auf und meinte nur lächelnd: „Schätzchen, ich bin nicht sauer. Ich wäre an deiner Stelle wahrscheinlich jetzt auch lieber alleine."

Dafür liebte ich sie.

Sie war einfach die Beste und würde es immer sein.

Ich begleitete sie hinunter zur Haustür, wo sie mich nochmal ganz fest an sich drückte.

„Sam, du rufst mich SOFORT an, wenn du nach Hause fährst, okay. Und du rufst mich nicht erst an, wenn du zuhause bist, sondern bevor du losfährst, verstanden, sonst springe ich dir an die Gurgel!", hörte ich sie leise in meine Haare sagen.

Ich löste mich von ihr, sah ihr in ihre blauen Augen und meinte schulterzuckend: „Hm ja, ich ruf dich heute vielleicht noch an, kommt drauf an, ob es mir in meinen Kram passt."

Dafür kitzelte sie mich so lange, bis ich nach Luft schnappend rief: „Okay okay, du weißt genau, dass ich dich anrufe, du blöde Pute!"

Ich konnte mich vor Lachen nicht mehr auf den Beinen halten und rutschte die Wand hinunter, bis ich unten angekommen sitzen blieb und zu meiner besten Freundin aufsah, die grinsend über mir stand.

„So wollte ich das hören, du bad girl. Pass auf, dass du nicht noch mehr bad wirst. Aber vielleicht steht Harry ja darauf", sagte sie zwinkernd und sofort begann mein Herz wieder zu pochen.

Nur bei der Erwähnung seines Namens.

„Wir werden es sehen", gab ich frech zurück. „Und außerdem heißt das worse, nicht noch mehr bad, du Englisch-Genie", zog ich sie auf.

Sie streckte mir die Zunge raus, hielt mir ihre Hand hin und zog mich wieder auf die Füße.

„Es ist halt nicht jeder als so ein Megasprachenfreak aufgezogen worden, bad girl", sagte sie und zog beide Augenbrauen hoch und spielte damit auf Leo und mich an. Wir sind nämlich dreisprachig aufgewachsen, ohne Witz. Mein Vater ist halb mexikanisch und halb brasilianisch, aber in Phoenix als ganz normaler Amerikaner aufgewachsen. Mit 19 Jahren ist er dann in München im Urlaub gewesen und hat dort meine Mom kennengelernt, die in dem Hotel jobbte, wo er wohnte. Es war Liebe auf den ersten Blick bei den beiden, also zog Dad nach München zu ihr. Er hatte schon ein wenig Deutsch in der Schule gelernt, was ihm hier dann zugute kam. Mom ist ja eigentlich Italienerin, aber ist in München aufgewachsen. Leo und ich sprechen Englisch und Italienisch genauso, wie wir Deutsch sprechen. Ich finde das ziemlich cool, war ein großer Vorteil in der Schule, musste ich echt zugeben. Und natürlich auch ein Vorteil in meinem Job als Moms Assistentin, da dort so gut wie alles auf Englisch stattfand.

Und ... ein Vorteil wegen eines gewissen Jungen mit grünen Augen...

„Okay, du läufst gerade wieder zur Höchstform auf, Carolina, das heißt, jetzt schmeiß ich dich wirklich raus." Ich wuschelte durch ihre blonden Haare und sie sprang schreiend ein paar Meter weg von mir. Es gab nichts, was sie so sehr hasste, als wenn ihr jemand durch ihre Haare fuhr.

Ich lachte und streckte die Hand aus. Sie kam vorsichtig wieder zurück und umarmte mich noch einmal.

„Okay, also wir hören später voneinander. Ich denke an dich und ich drücke dir die Daumen, dass ihr euch wirklich seht", sagte sie und strahlte mich an, bevor sie mir einen Kuss auf die Wange drückte und mit wippenden Schritten zu ihrem Auto lief.

Ich wartete so lange, bis sie weggefahren ist, bis ich die Tür schloss.

So.

Ich sah auf die Uhr.

Okay, noch anderthalb Stunden.

Als erstes konnte ich jetzt eine Dusche vertragen.

Gesagt, getan.

Als ich mir die Haare föhnte, wanderten meine Gedanken natürlich sofort zu Harry.

Irgendwie hatte ich ein mulmiges Gefühl. Wie sollte ich reagieren, wenn ich ihm gegenüberstand? Wie würde er reagieren? Würde er mich nur umarmen oder sofort stürmisch küssen?

Das wäre schon ein bisschen heftig.

Ich wusste nicht, was ich denken sollte.

Dann denk doch einfach gar nicht mehr nach, Sam, sagte ich mir selber und schaltete den Föhn aus.

Ich ließ meine Haare offen und lief in mein Zimmer, um mich anzuziehen.

Nachdem ich dann noch ein wenig Make-Up aufgelegt hatte, hatte ich noch eine halbe Stunde, bis ich losmusste.

Ich ging hinunter in die Küche, steckte mein Handy an die Anlage an und drückte auf Play bei ‚zufälliger Wiedergabe' bei Titel.

Sofort erklang I Want und ich musste lachen.

„Harry, du verfolgst mich, langsam wird's wirklich gruselig", sagte ich grinsend zu seinem Gesicht, das auf dem Up All Night Cover auf meinem Handydisplay abgebildet war.

Ich versuchte, mir einen Jogurt hineinzuwürgen, aber ich bekam vor Aufregung nichts hinunter.

Seufzend gab ich es auf und sah wieder auf die Uhr.

Noch eine Viertelstunde.

Ich hatte eine Viertelstunde für diesen beknackten Jogurt gebraucht?! Oh Gott, Sam, langsam drehst du echt am Rad.

Ich schüttelte den Kopf und musste über mich selber lachen.

Die nächsten zehn Minuten verbrachte ich damit, dass ich auf die Uhr starrte. Ich saß in unserer Küche und starrte sie an und sah den Zeigern zu, wie sie über das Zifferblatt krochen.

Nach neun Minuten und 58 Sekunden riss mir mein Geduldsfaden. So etwas war nichts für mein italienisches Temperament.

Scheiß drauf, ich fahr jetzt los. Ob ich jetzt hier fünf Minuten wartete oder an dem Tiefgarageneingang war auch schon gehüpft wie gesprungen.

Also griff ich nach meiner Tasche, die schon auf mich wartete, schnappte mir meinen Autoschlüssel und lief zu meinem Auto.

Ich atmete tief durch, als ich einstieg.

Los geht's. Harry, ich komme.

Endlich.

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt