#50 - Endlich Ende des Tages

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Ich starrte ihn an. Nach zwei Sekunden fing ich an zu lachen. Ich lachte und lachte.

„Willst du mich verarschen?", bekam ich irgendwann atemlos heraus. Schlagartig wurde ich plötzlich ernst. „Ohne Scheiß, willst du mich verarschen?!" Ich kniff die Augen zu grünen funkelnden Schlitzen zusammen und ging langsam ein paar Schritte auf ihn zu, sodass uns nur noch zwei Meter trennten.

Er sah mich ziemlich eingeschüchtert ein.

„Glaub mir, wenn ich etwas weiß, dann ist es, dass ich dich nicht mehr liebe. Dadurch, dass ich dich so sehr hassen konnte, hat das alle Wunden schneller geschlossen. Außerdem musste ich dich nicht sehen, was mir nochmal weitergeholfen hat. Was meinst du, wie viel mehr ich noch gelitten hätte, wenn du hier immer munter herumgelaufen wärst. Aber so war dann alles gut und ich bekam dich aus meinem Kopf und Herzen heraus. – Nein, ich liebe dich nicht mehr."

Ich sah, wie seine Gesichtszüge erschlafften. Jetzt wurde ich wütend.

„Dachtest du im Ernst, dass du zurückkommst, nachdem du mit anderen Ischen geschlafen hast, und ich dich dann mit offenen Armen empfange?"; zischte ich, „hast du das wirklich gedacht?!"

Er sagte gar nichts mehr.

„Leck mich, Nico."

Er hob seinen Blick und sagte: „Da ist ein anderer, stimmt's?"

Das traf mich eiskalt.

„Wie bitte?", fragte ich, um Zeit zu schinden.

„Da ist ein anderer, hab ich Recht? Du hast dich in jemand anderen verliebt." Er sah mich schon fast anklagend an.

Fuck, und jetzt?

„Ja, habe ich", antwortete ich. Das war das Einfachste. Und es würde ihn auf die Palme bringen und ihm hoffentlich auch wehtun.

Und es war nun mal die Wahrheit.

Frustriert fuhr er sich durch die Haare.

„Bist du mit ihm zusammen?"

„Was geht's dich an?", fuhr ich ihn gereizt an. Sehr dünnes Eis, mein Lieber, sehr, sehr dünnes Eis, auf dem du dich da gerade befindest.

„Sag."

„Nein, bin ich nicht. Noch nicht", setzte ich trotzig hinterher. Es tat so weh. Diese kleine Lüge schmerzte so sehr. Ich würde nie mit ihm zusammen sein, aber das musste ich Nico ja nicht unter die Nase reiben.

„Ich fahr jetzt", verkündete ich und drückte mein Kreuz durch. Ich reckte das Kinn in die Höhe, sah ihn noch einmal böse an und sagte bissig: „Gute Nacht. Und lass mich für immer in Ruhe."

Ich wirbelte herum und war so schnell aus dem Garten und in meinem Auto, dass meine Worte erst in seinem alkoholbenebelten Gehirn ankamen, als ich schon den Motor startete.

Ich fuhr los, ohne mich noch einmal umzudrehen. Als ich den Blinker setzte und aus der Straße herausfuhr, begannen die Tränen zu laufen. Ich sah fast nichts mehr, so stark kamen sie aus meinen Augen. Eigentlich kamen sie direkt aus meiner Seele.

Ich wusste nicht, was ich von diesem Gespräch halten sollte.

Ich wollte nicht darüber nachdenken, was er gesagt hatte. Was ich nach einem halben Jahr alles erfahren habe.

Ich wollte gar nicht mehr denken.

Setz jetzt bloß nicht den Wagen gegen einen Baum, dann bring ich dich um!!!!!, erklang plötzlich Caros Stimme laut in meinem Kopf.

Pff, sah ich so aus, als würde ich mir wegen einem bekloppten Hampelmann das Leben nehmen? Niemals, das war er nicht wert.

Ich schaltete ein langsames Klavierstück an meinem Handy an und drehte die Lautstärke voll auf. Ich musste an eine Zeile aus einem Song von Prinz Pi denken.

Wenn du so laut Musik hörst, dass du nichts mehr hörst, hörst du endlich dich selbst.

Eigentlich mochte ich Prinz Pi nicht wirklich, aber ich hatte diesen Satz mal irgendwo aufgeschnappt und er war mir sofort unter die Haut gegangen.

Ich hörte auch nichts mehr, weil meine Musik so laut war – aber ich hörte auch nicht mich selbst, weil ich mich taub stellte. Ich schaltete mein Hirn aus, bis ich zu Hause war.

Als ich in unserer Küche war und eine Tasse Kakao in die Mikrowelle stellte, fiel mir ein, dass ich ja meine IchBinZuhauseMachtEuchKeineSorgen-Nachrichten noch verschicken musste.

Ich nahm mein Handy vom Küchentisch und setzte mich auf einen Barhocker.

‚Zuhaaause :) Alle Saufnasen, Tänzer und beste Freundinnen wurden alle wohlbehalten nach Hause gebracht ;) Ich erwarte, dass du immer noch im Storm unterwegs bist ;P Pass auf dich auf & viel Spaß noch! :) :*' , schrieb ich René.

Gut, jetzt Ilona.

‚Whooop, @ home ;) Man das war so megageil, ich kann's immer noch nicht fassen, Loniiiieee! Schlaf gut, mein Wirbelwind :***'

Das Beste kommt zum Schluss, dachte ich grinsend und tippte auf Caros Namen. Bei ihr schrieb ich nur ein Wort.

‚Zuhaaaause:)))'

Ich brauchte noch keine Gute-Nacht-Nachricht schreiben, weil sie eh in circa einer Minute antworten würde.

Wie immer hatte ich recht.

‚Sehr gut (: Ich komm morgen irgendwann vorbei, hol mein Auto und dann erzählst du mir, was noch passiert ist!'

Ich schrieb zurück: ‚alles klaro:) Es ist nichts mehr passiert'

Baduumm, Lüge.

‚Das kannst du deinen Strumpfhosenlöchern erzählen, aber nicht mir.'

Sie wusste irgendwie immer alles. Aber woher?, fragte ich mich, aber da kam schon die nächste Nachricht von ihr.

‚Du hast megalange von mir bis zu dir nach Hause gebraucht. Also habt ihr noch lange geredet.'

Ich seufzte. ‚Ja, stimmt... aber ich muss echt ins Bett Schnucki! Wir sehen uns morgen! <3 Schlaf gut ich hab dich so sehr lieb :*'

Ich wollte mich eigentlich in Windeseile bettfertig machen, damit ich möglichst schnell ins Bett kam, aber ich musste wirklich duschen nach diesem Abend. Ich sah das erste Mal auf die Uhr und stöhnte. Viertel vor fünf.

Ich sprang also leise unter die Dusche und verkrümelte mich dann endlich in mein Bett.

Viertel nach fünf und das Ende des Tages war endlich hier. Amen.

Mein Handy zeigte noch eine Gute-Nacht-Nachricht von Caro an, die ich allerdings nicht aufmachte.

Ich ließ mich in mein Kissen sinken, schloss die Augen und versank sofort erschöpft in einen unruhigen Schlaf.

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt