115. Warum? (2/2)

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Die Nacht glich für Hermione einer Tortur, obwohl im Endeffekt nichts passierte. Und genau da lag das Problem. Nichts, aber auch gar nichts regte sich. Es war ein beängstigendes, quälendes Nichts.

Seit dem Moment, an dem Daniel sie auf den Stuhl neben Dracos Bett gedrückt hatte, war es ihr, als wäre die Zeit stehen geblieben. Sie hatte die ganze Nacht neben dem Blonden ausgeharrt. Dabei strich sie ihm durch die Haare und über die blass-kalte Wange, während sie mit der anderen Hand seine ebenso kalte Hand hielt, in der Hoffnung, dass er etwas spürte. Spürte, dass jemand bei ihm war, der es gut mit ihm meinte.

Die Kälte, die ihm anhaftete, schürte mit der Zeit jedoch vermehrt ihre Angst, denn diese wollte nicht weichen. Weder mit den warmen Decken, noch dem kleinen Ofen, den Madam Pomfrey angeheizt hatte. Ebenso wirkungslos blieb der Wärmezauber, den sie selbst im Laufe der Nacht über den Blonden legte. Sein Körper blieb kalt. Er nahm keine Wärme von außen an und schien auch nicht dazu imstande, selbst genügend Wärme zu produzieren.

Ähnlich quälend für die Hexe war seine extrem flache Atmung. Diese trieb Hermione in der Nacht mehrmals an den Rand der Verzweiflung, da sie stets der Eindruck beschlich, er hätte ganz aufgehört zu atmen.

Madam Pomfrey wandte aufgrund dessen noch einen Zauber an, um Hermione ein wenig Ruhe zu verschaffen. Sie stellte der Gryffindor eine kleine Glaskugel auf den Nebentisch, die ein schwaches, weißes Licht abstrahlte. Dieser Schein spiegelte im übertragenden Sinne Dracos Herzschlag wieder. Sein Leben. Würde das Licht verlöschen, die Kugel schwarz werden, könnten sie ihm nicht mehr helfen. Doch so lange das Licht strahlte, wenn auch schwach, zeigte es, dass er lebte, was Hermione minimal beruhigte. Andere Lebenszeichen gab es allerdings nicht. Zumindest keine, die sie fähig war mit bloßem Auge zu erfassen.

Da war kein Zucken seiner Glieder, kein Murmeln oder Stöhnen, was seine Lippen verließ und auch kein Blinzeln, denn seine Augen blieben fest verschlossen. Um diese lagen dunkle Schatten, die ihn furchtbar ausgezehrt erscheinen ließen. Dieser Ausdruck wurde durch die fahle Blässe seines Gesichts noch mehr bekräftigt.

Er war nicht einfach nur blass, sondern noch immer so weiß, wie eine Porzellanpuppe, der er im Augenblick an Zerbrechlichkeit in nichts nachstand.

Seine Lippen waren bleich und von einem eisigen Blauschimmer durchzogen. Sein Atem wiederum so schwach, dass sie ihn nicht spürte, und trotz Madam Pomfreys Kugel Angst hatte, dass er ganz aufhören würde zu atmen.

Während dieser quälenden Nacht huschten ihr immer wieder dieselben Gedanken durch den Kopf. Ebenso bittere Vorwürfe, da sie ihn nicht gleich gesucht hatte. Wenn doch, ihm wäre so vieles erspart geblieben. Über das Was wollte sie gar nicht näher nachdenken.

Stattdessen gelangte sie zu der Frage, wer so grausam war? Wer dazu fähig war, ihm jetzt, nach allem, eine derartige Gewalt anzutun? Wer ihn so sehr quälen würde? Töten wollte?

Zwar kam ihr Entwhistle mit seinem dümmlichen Gefolge in den Sinn, doch selbst die würden nicht so weit gehen. Oder? Sie hatten die große Klappe und wollten Draco eins auswischen. Ihn erniedrigen, demütigen und vermutlich auch verletzen, aber foltern und töten? Wären sie tatsächlich dazu fähig? Oder sonst jemand aus der Schule?

So sehr sie auch darüber nachdachte, sie kam zu keinem Ergebnis. Hinzu kam die quälende Frage des Warum? Immer wieder diese Frage.

Warum? Warum? Warum?

Warum ließen die Menschen Draco nicht in Frieden? Warum verstanden sie nicht, dass er nicht das war, was sie glaubten von ihm zu wissen? Zu kennen? Warum konnten sie nicht mit der Vergangenheit abschließen? Warum maß man ihn an Dingen, die er selbst nie getan hatte? Warum sahen die anderen nur das Schlechte und nicht auch wenigstens etwas die guten Dinge, die er ebenso geleistet hatte?

Was im Verborgenen liegt (1/?)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt